Restrukturierung während Kurzarbeit - Chance oder Risiko?

von Martin Biebl, veröffentlicht am 07.07.2020
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtCorona|3619 Aufrufe

Nahezu alle Unternehmen des Landes wurden von der Corona-Pandemie überrascht. Eine noch nie dagewesene Zahl von Unternehmen war dankbar, dass sie ihre Arbeitnehmer gleich zu Beginn der Krise in Kurzarbeit schicken konnte. Die gesetzlichen Vorgaben zur Einführung von Kurzarbeit wurden im Rekordtempo gesenkt und Kurzarbeit wurde von der Politik als Wundermittel gegen die Krise verkauft. Der Einführung von Kurzarbeit lag dabei in allen Unternehmen eine Prognose zugrunde: Die Corona-bedingte Delle der Wirtschaft sollte nur einen vorübergehenden Arbeitsausfall verursachen, am Ende des Tunnels war aber mehr oder weniger viel Licht zu erkennen.

Die ursprüngliche Prognose des Arbeitgebers kann sich aber ändern und hat es wohl in vielen Unternehmen zwischenzeitlich auch bereits getan. Kündigungsrechtlich kann aus der Prognose eines vorübergehenden Arbeitsausfalls bei Hinzutreten weiterer Umstände auch ein dauerhafter Arbeitsausfall werden. Dann fehlt das Licht am Ende des Tunnels und für die betroffenen Arbeitnehmer ist Kurzarbeit kein taugliches Mittel (mehr), um ihre Arbeitsplätze dauerhaft zu sichern. Es drohen betriebsbedingte Kündigungen.

Problematisch ist aber die Situation, in der sich für einen Teil des Unternehmens die Prognose hin zu einem dauerhaften Arbeitsausfall ändert, während im Rest des Unternehmens tatsächlich noch von einem vorübergehenden Arbeitsausfall auszugehen ist. Erreicht nämlich eine Personalabbaumaßnahme im Betrieb die Schwellenwerte des § 17 KSchG, so kann sich dies negativ auf die Voraussetzungen der Kurzarbeit für den gesamten Betrieb auswirken.

Schuld ist eine veraltete fachliche Weisung der Agentur für Arbeit ("Fachliche Weisungen KUG", Stand 20.12.2018), in der es auf Seite 19 heißt:

"Trifft der Arbeitgeber die unternehmerische Entscheidung,

• einen Betrieb oder bestimmte Betriebsteile stillzulegen oder

• eine Betriebsänderung in Form eines erheblichen Personalabbaus (§ 17 KSchG) durchzuführen,

entfällt die Grundlage für die Gewährung des Kug, sobald konkrete Umsetzungsschritte, wie z.B. Ausspruch von Kündigungen, Abschluss von Interessenausgleichsvereinbarungen mit endgültigen Namenslisten, erfolgen."

Nimmt man diese Weisung beim Wort, so entfällt bei einer Massenentlassung im Sinne des § 17 KSchG in einem Betriebsteil nach Ansicht der Agentur für Arbeit die Grundlage für die Gewährung von Kurzarbeitergeld ab dem ersten Umsetzungsschritt für den gesamten Betrieb. Bei dieser Lesart wäre es also völlig egal, ob für einen verbleibenden "Betriebsrest" nur ein vorübergehender Arbeitsausfall angenommen werden kann oder nicht.

Die Konsequenzen wären fatal: Ein Arbeitgeber, der einen Personalabbau in bestimmten Bereichen des Betriebes durchführen muss und die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht, würde nach dieser Ansicht automatisch mit dem gesamten Betrieb aus der Kurzarbeit fallen und könnte die wirtschaftlichen Erleichterungen der Kurzarbeit überhaupt nicht mehr in Anspruch nehmen. Der dauerhafte Arbeitsausfall in einem Teilbereich würde den vorübergehen Arbeitsausfall in einem anderen Bereich überlagern. Kurzarbeit wäre für das Unternehmen kein probates Mittel mehr. Die wirtschaftliche Schieflage würde sich verschlimmern und womöglich einen weiteren oder größeren Personalabbau notwendig machen.

Das kann auch von der Agentur für Arbeit nicht gewollt sein und wird in der Literatur zu Recht kritisiert. Die fachliche Weisung passt nicht zum Sinn und Zweck der Kurzarbeit und insbesondere nicht zu den erleichterten Anspruchsvoraussetzungen im Zuge der Corona-Krise. Es bleibt zu hoffen, dass bald eine Klarstellung erfolgt, damit Arbeitgeber Planungssicherheit haben. Aktuell sind von den Agenturen keine oder keine einheitlichen Aussagen zur Anwendung der Regelung zu erhalten.

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